Erst Geld geben, dann zurückholen

Star Citizen und die Rückerstattungen

Kommentar
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Status: Alpha
Release: TBA

Immer wieder wird in Verbindung mit Star Citizen eine  Sau durchs Dorf getrieben: Die Refunds. Autor Benjamin Danneberg findet Rückerstattungen generell fragwürdig.

„Größte Rückerstattung der Spielegeschichte.“ „Star Citizen und die galaktischen Rückerstattungen.“ „Backer bekommt durch Staatsanwaltschaft sein Geld zurück.“ „Backer will 24.000 Dollar zurück, hat Probleme dabei.“ Das ist nur eine Auswahl der deutschen Headlines zum Thema, die voll und ganz auf Sensationsklicks aus sind.

Doch geht es dabei nicht nur oft um Falschmeldungen: Das ganze Thema Refunds wird medial so behandelt, als habe der Unterstützer ein Recht darauf, sein Geld irgendwann einfach wieder aus einem Projekt zu ziehen. Das ist eine gefährliche Tendenz für alle Crowdfunding-Projekte, wie ich finde.

18 Monate Zeit, ein Spiel zu liefern

Star Citizen ist ein Crowdfunding-Projekt, das sich – zumindest anfangs – gewissen Regeln unterworfen hatte. So beinhalteten die ersten Geschäftsbedingungen des Projekts eine Phase von 18 Monaten, in der sich Cloud Imperium Games (CIG) verpflichtete, relevante Belohnungen und / oder das versprochene Spiel zu liefern. Dieser Zeitraum zeigt deutlich den ursprünglich angepeilten, viel kleineren Umfang des Spiels.

Wer innerhalb dieser Zeit unterstützt hatte, konnte nach Ablauf der 18 Monate sein Geld in gewissem Rahmen zurückverlangen. Viel mehr als den Arena Commander und den Hangar gab es lange Zeit nicht und so mancher Unterstützer legte das als „nicht geliefert“ aus. Darüber hinaus entwickelte sich das  Spiel durch die ins Astronomische steigenden Unterstützergelder signifikant weiter – und damit auch über die Vision mancher ursprünglicher Backer hinaus. ___STEADY_PAYWALL___

Das grundsätzliche Spiel ist gleichgeblieben

Auf Kickstarter war Star Citizen ursprünglich als „umfangreiches Spieluniversum, das sich auf Weltraumabenteuer, Handel und Dogfighting in First Person-Ansicht fokussiert“ beworben worden. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch der First Person-Shooter-Anteil war bereits in der originalen Kampagne enthalten. Mit dem 3,5 Millionen-Stretchgoal wurden Boarding-Operations versprochen. Auch die Planeten waren ein offizielles Zusatz-Ziel, obwohl sie ursprünglich viel später umgesetzt werden sollten.

Der FPS-Teil von Star Citizen war von Beginn an geplant – wenn auch in erheblich geringerem Umfang.

Rund zwei Jahre nach der Kickstarterkampagne hatte Cloud Imperium Games über 60 Millionen Dollar gesammelt. Ein Erfolg, der vorher so nicht abzusehen war. Nun ist mit Chris Roberts nicht irgendein Spielentwickler an der Spitze von CIG. Roberts ist bekannt für seine Ambitionen. Schon Wing Commander reizte damals die nötige Hardware aus. Dass er sich bei 60 Millionen nicht mehr mit einem Spiel zufriedengibt, das anfangs vielleicht ein Zehntel kosten sollte, kann ich ihm kaum ernsthaft vorwerfen.

Die Unterstützer wollten mehr

Das Projekt wuchs – auch auf direktes Verlangen der Unterstützer, die mehrfach über die Fortsetzung der Crowdfunding-Kampagne und weiterer Stretchgoals abstimmten – zu einer gigantischen Herausforderung, die CIG anfangs nicht richtig auf die Kette bekam. Der Studioaufbau gestaltete sich schwierig, es gab interne und externe Kommunikationsprobleme, Vertragspartner lieferten fehlerhafte Arbeit ab und so weiter und so fort. Gleichzeitig zettelten neidische Ex-Entwickler und Yellow-Press-Autoren Kampagnen gegen CIG an und versuchten alles, um Star Citizen zu schaden.

Die Unterstützer wurde mehrfach gefragt, ob sie eine Fortsetzung der Crowdfunding-Kampagne und der Stretchgoals wünschten.

2016 änderte CIG erstmals die Geschäftsbedingungen. Refunds sollten nur noch bewilligt werden, wenn die Entwicklung von Star Citizen unterbrochen oder eingestellt würde. Auch hier wurde medial ein Fass aufgemacht: Rückerstattungen zu bekommen, würde jetzt viel schwerer werden. Hat CIG das Geld etwa so dringend nötig?

Wem gehört das Geld eigentlich?

An dieser Stelle komme ich zu dem Problem, dass ich ganz persönlich damit habe. Es ist CIGs Geld und natürlich wollen sie es auch verwenden. Wenn ich ihnen Geld gebe, damit sie ein Spiel entwickeln, dann ist es nicht mehr mein Geld. Es ist ihr Geld und sie können es innerhalb der Projektgrenzen einsetzen, wofür sie wollen. Wie komme ich dazu, mein Geld zurückzufordern, wenn kein eklatanter Verstoß gegen geltendes Recht vorliegt?

Ein einzelner Entwickler ändert alles

Im Rahmen der alten Geschäftsbedingungen haben die ursprünglichen Unterstützer sicherlich das grundsätzliche Recht, ihr Geld zurück zu fordern. Star Citizen & Squadron 42 sind noch immer nicht fertig, eine Menge Stretchgoals wurden nicht innerhalb der Frist von 18 Monaten erfüllt.

Dazu kam eine komplette Überarbeitung und Erweiterung der CryEngine und 2015 ein großer Schnitt: Die Planetentechnik wurde im Frankfurter Studio durch individuelles Engagement von Entwickler Marco Corbetta entwickelt, weit vor der geplanten Einführung nach Release von Star Citizen.

Der Blick über den Stadtplaneten ArcCorp von einer Truck-Station im Orbit. Die gigantischen Planeten sollten eigentlich erst viel später entwickelt werden.

Das änderte alles, denn damit wurden die Möglichkeiten fürs Spiel nahezu grenzenlos. Und der Begriff „grenzenlos“ trifft auch auf Chris Roberts Vision seines Spiels zu: Squadron 42 und Star Citizen werden komplett auf die neue Planetentechnik umgebaut. Alles verzögert sich also erneut, die Wartezeit wird noch länger. Da kommt einem doch sofort das Wort Rückerstattung in den Sinn, oder?

Geschenkt ist geschenkt

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe zu keiner Zeit daran gedacht, mein Geld zurückhaben zu wollen. Das Geld, was Unterstützer an CIG schicken, ist dafür da, deren Vision von einem Spiel umzusetzen. Nicht meine. Nicht eure. Nicht irgendeine: Die von Chris Roberts & Cloud Imperium Games.

Ihr kennt doch sicher den alten Spruch: Geschenkt ist geschenkt, zurückgenommen ist gestohlen! Ich finde, das trifft auch auf Crowdfunding zu. Unterstützer geben Geld, der Unterstützte arbeitet damit. Wieso sollte das Geld, das zumindest teilweise bereits in Arbeitskräfte, Hardware oder andere Dinge investiert wurde, wieder aus dem Projekt herausgenommen werden dürfen? Das erschließt sich mir nicht.

Sogar Bodenfahrzeuge wie der riesige Tumbril Nova-Panzer sind mittlerweile in Entwicklung.

Dann sind da noch diejenigen, die sehr viel investiert haben, Tausende von Dollars, und dann in eine Notlage kommen und ihr Geld wiederhaben wollen. Das ist eine zweischneidige Geschichte. Einerseits habe ich Mitleid und sage: Klar, ein Refund aus Kulanz hilft demjenigen vielleicht wieder aus der Patsche. Andererseits frage ich mich ernsthaft, wieso jemand so viel Geld in etwas investiert und dann später plötzlich am finanziellen Ruin kratzt.

Weiß denn heute keiner mehr, dass man gerade bei Spielen immer nur mit Geld unterstützen sollte, auf das man verzichten kann und will? Ich finde, solche Vorgänge sagen vor allem etwas über die grundsätzliche Fähigkeit von Menschen aus, finanzielle Entscheidungen zu treffen. Niemand sollte so viel Geld in so etwas wie Spielentwicklung stecken, wenn er eigentlich auf dieses Geld angewiesen ist.

Gegen den Einheitsbrei: Spiele brauchen private Unterstützung

Ich habe ebenfalls Star Citizen und weitere Kickstarterprojekte unterstützt. Als Gamer, aber auch als Journalist, halte ich es für wichtig, meine Leidenschaft für Spiele auch durch die Unterstützung vielversprechender Konzepte zu zeigen.

Auch wenn Wertungsdiskussionen oder Podcast-Gespräche manchmal eine andere Botschaft aussenden wollen: Spiele sind immer eine emotionale, eine subjektive Sache. Sie leben von persönlichen Erwartungen, Hoffnungen, Wünschen und Vorlieben. Wer Spiele liebt, der unterstützt sie auch. Das bedeutet aber keinesfalls, dass Mängel automatisch schön geredet werden.

https://youtu.be/HaJx4TdshFA

Echte Gamer stellen schnell fest, wenn etwas nicht gut umgesetzt ist. Und sie haben – vor allem wenn sie Journalisten sind – in der Regel kein Problem damit, diese Fehler beim Namen zu nennen. Allerdings muss es auch erstmal etwas geben, was wirklich kritisiert werden kann. Work in Progress auf Fehler zu sezieren, damit man sich öffentlich profilieren kann, hat mit Journalismus nichts zu tun, das ist einfach nur unfair.

Doch selbst wenn Star Citizen eine Richtung einschlagen würde, die mir nicht mehr passt und wenn ich ständig handfeste Kritikpunkte in meinen Artikeln ansprechen müsste, würde ich trotzdem nicht versuchen, mein Geld aus dem Projekt zu ziehen. Unterstützung durch Crowdfunding ist kein privates Wunschkonzert. Wenn ich Amnesty International Geld gebe, damit sie in Afrika Brunnen bauen, versuche ich doch auch nicht, mir das Geld wieder zurückzuholen, nur weil mir der finale Standort der Brunnen nicht passt.

Bäumchen, wechsle dich

Auch wenn sich viele derjenigen, die in Foren oder in Kommentaren mit ihren erfolgreichen Rückerstattungsforderungen hausieren gehen, etwas anderes behaupten: Die ursprüngliche Vision hat sich nicht geändert, das ursprüngliche Versprechen ist nicht gebrochen worden. Star Citizen war immer schon als reichhaltiges Space-Abenteuer geplant.

Trotzdem gab es Anpassungen: Beispielsweise wird es keinen Koop-Modus in Squadron 42 geben und modifizierbare, private Server sind nicht mehr möglich. Grund genug, ein Rückerstattungs-Fass aufzumachen? Wenn ich so manchen Artikel im Internet lese, könnte ich diesen Eindruck bekommen.

Filmreifer Start der Gladius aus der Idris-Fregatte: Squadron 42 benutzt ebenfalls die Planetentechnik.

Aber das grundlegende Spiel ist das Gleiche geblieben, wie in der Kickstarterkampagne angekündigt. Es gibt meiner Meinung nach keinen validen Grund, sein Geld zurückzufordern – es sei denn vielleicht, man ist passionierter Modder. Anpassungen an die Entwicklung sind ganz normal, dass sich das ein oder andere geplante Feature am Ende als nicht oder nur teilweise umsetzbar herausstellt, ist Berufsrisiko. Das sollten Unterstützer eigentlich vorher wissen.

Trotzdem kann die Finanzierung eines solchen Projekts nicht auf wechselnden Launen basieren. Unterstützungsgeld aufgrund mangelnder Geduld wieder abzuziehen, halte ich für unredlich. Wie soll ein Studio planen, wenn die Unterstützer je nach Tagesform „Bäumchen, wechsle dich“ spielen?

Crowdfunding kann nicht auf Launen gründen

CIG ist trotzdem häufig sehr kulant. Nicht nur werden innerhalb von 30 Tagen Gelder zumeist ohne Frage zurückerstattet, darüber hinaus machen sie Rückerstattungen möglich, wenn die Begründung gut genug ist. Persönliche Härten lässt CIG beispielsweise oft gelten.

Darüber hinaus halte ich aber Rückerstattungsforderungen schlicht für Diebstahl. Wenn ich ein Projekt unterstütze, muss die entsprechende Firma sich darauf verlassen können, mit diesem Geld arbeiten zu dürfen. Wie soll sie das aber tun, wenn ich es in jeder Bierlaune einfach zurückverlangen kann?

Wenn ich mir nicht sicher bin, dass ich einer Firma Geld geben will, bin ich dazu verpflichtet, so eine Unterstützung von vornherein zu unterlassen. Sich hinterher hinzustellen und Krokodilstränen zu weinen, weil einem der Weg nicht mehr gefällt, zeugt nur davon, dass man sich zum Zeitpunkt der Unterstützung nicht gut genug informiert und und eine schlechte Entscheidung getroffen hat.

Gegen Clickbait & Refunds

Das hindert verschiedene Autoren nicht daran, sich an solchen Vorgängen zu weiden und Sensationsartikel zu verfassen. So wurden im letzten Jahr sogar reddit-Einträge von gefälschten Rückerstattungs-Geschichten klickwirksam verarbeitet. Bis heute sind die entsprechenden Headlines zu lesen, kaum einer der verantwortlichen Autoren revidierte seine Falschmeldungen vollständig.

Vielleicht sind einige schon zu lange im Geschäft, arbeiten zu lange unter dem Druck von Klick- und Verkaufszahlen. Vielleicht haben einige Journalisten ihre Leidenschaft fürs Gaming verloren und machen nur noch einen Routinejob für die Googlesuche. Anders kann ich mir manches Machwerk und die vielfach negative Einstellung gegenüber Star Citizen nicht erklären.

Wer immer nur die gleichen, alten Spielinhalte sucht, der sollte von Großprojekten wie Star Citizen die Finger lassen.

Ich halte es für grob fahrlässig, eine Kulanzleistung als allgemeines Recht darzustellen. Rückerstattungen sind meiner Meinung nach nur in Ausnahmefällen vertretbar. Wer ein Entwicklerstudio unterstützt, der muss wissen, dass Risiken bestehen: Erwartungen werden vielleicht nicht erfüllt, vielleicht dauert die Entwicklung länger. Wenn ich das nicht will, gebe ich kein Geld.

Deshalb von mir das klare Statement zum Thema Refunds: Wenn ihr unterstützen wollt, dann tut es richtig, fair und ohne Hintergedanken. Wenn ihr das nicht wollt, wenn ihr auf euer Geld eigentlich gar nicht verzichten könnt oder Gefahr lauft, irgendwann die gespendete Kohle wieder zurückholen zu wollen, dann tut den Entwicklern doch bitte einen Gefallen: Lasst es einfach von vornherein sein. Alles andere ist meiner Meinung nach verantwortungslos.

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