Das Gameplay von Baldur’s Gate 3 wurde endlich vorgestellt. Und es stellt sich die Frage: Kann ein guter Koch ein perfektes Gericht nachmachen?
Ich bin einer dieser alten Säcke, die auf die Baldur’s Gate-Saga schwören, wie auf kein anderes Spiel. Satte sieben Mal bin ich bislang die Schwertküste rauf- und runter gezogen, habe Jon Irenicus vermöbelt, den Demogorgon bezwungen und die Bhaalskinder zurechtgestutzt.
Was die Saga so großartig macht? Eine hervorragend erzählte Geschichte, glaubwürdige Charaktere mit Persönlichkeit, hammerharte und taktische Kämpfe, die nicht selten auf Messers Schneide entschieden werden, mächtige Gegenstände mit eigenen, sehr gut erzählten Stories und eine stimmige Welt.
Die Infinity-Engine lässt mit ihrer isometrischen Ansicht und der fixierten Kamera viel Raum für Fantasie. Dabei spielen die Portraits eine wichtige Rolle: Das Aussehen des Charakters auf dem gemalten Bild transformiert sich in meinem Kopf zu einem Kinofilm meiner Vorstellungskraft, jedes Mal, wenn einer dieser Recken in ein Gespräch verwickelt wird oder eine Entscheidung zu treffen ist.
Zeitstopp: Wenn in Echtzeit die Hölle losbricht
Dann sind da noch die Echtzeitkämpfe mit Pausenfunktion. Nicht selten platze ich mit meiner Heldentruppe in einen Raum, der mit hochgefährlichen Zauberern, bis an die Zähne bewaffneten Kämpfern und tödlichen Schurken gefüllt ist.
Pausenfunktion an und es geht los: Nahkämpfer mit Hast den gefährlichsten Gegnern zuweisen, ein Magier zaubert Zeitstopp und dann werden alle magischen Kettenzauber, Flächenzauber und verwüstenden Aktionen strategisch platziert.
Pause beendet und die Hölle bricht los.
Niemals waren Kämpfe befriedigender, niemals wurde überwältigende Macht so simpel und gleichzeitig beeindruckend vermittelt. Trotzdem müssen Kämpfe häufig neu versucht werden, weil kritische Fehlschläge gewürfelt wurden. Oder ich muss später wiederkommen, weil etwa ein Drache oder ein Leichnam meine Gruppe derartig dominiert, dass ein Erfolg schier unmöglich scheint.
Eine weitere große Stärke der Baldur’s Gate-Saga: Es gibt für fast alle Probleme eine Lösung – und wenn sie darin besteht, quer durch die Welt zu reisen, um genau die zwei Tränke zu kaufen, die im Kampf den Unterschied ausmachen.
Divinity killt die Baldur’s Gate-Atmosphäre
Vieles von dem, was ich gerade beschrieben habe, wird es in Baldur’s Gate 3 nicht mehr geben. Die Gameplay-Präsentation der Larian Studios auf der PAX East zeigt ein toll anzusehendes Spiel, das mir sehr bekannt vorkam.
Aber es erinnerte mich nicht an Baldur’s Gate, sondern an Divinity: Original Sin. Die Kampfmechaniken spiegeln exakt wider, was die Larian Studios groß gemacht haben: Ausgefeilte Kombos und ein ganz spezieller Humor. So dürfen wir beispielsweise unsere Stiefel (oder andere Gegenstände aus dem Inventar) auf Gegner werfen.
Charaktere und ihre Gespräche sind bis ins feinste Detail in cinematischen Dialogen ausgearbeitet, viel Platz für Fantasie bleibt da nicht. Auch die Antwortmöglichkeiten sind nicht mehr geradeheraus, sondern in der Vergangenheitsform verfasst: „Ich täuschte Unwissenheit vor. Worüber redete sie eigentlich?“ Oder: „Ich sagte ihr, dass wir uns ausruhen müssen“. Das entkoppelt meine Gedanken zur Situation auf seltsame Weise vom eigentlichen Geschehen. Ich fühle mich nicht mittendrin, sondern merkwürdig distanziert.
Echtzeit wird zu Rundenstrategie: Eine gute Entscheidung?
Nahezu beiläufig erklärt Swen Vincke, Chef der Larian Studios, in der Präsentation: „Dungeons & Dragons ist rundenbasiert, also ist es Baldur’s Gate 3 auch.“
Das sitzt tief. Ich habe diese bittere Pille bis jetzt nicht schlucken können. Die Gameplay-Demo hat auch nicht bewiesen, dass das eine gute Entscheidung war. Das oben beschriebene Höllenspektakel mit gleichzeitigen Aktionen aller sechs (in Baldur’s Gate 3 wohl nur noch vier) Partymitglieder? Nunmehr unmöglich. Stattdessen wurde das Divinity-Gameplay über die Tradition gebügelt.
Rundenbasierte Kämpfe haben Vorteile, die die Demo auch wunderbar illustriert hat. Einzelaktionen können toll geplant und durchgeführt werden. Schleichen ist noch simpler, weil auch außerhalb eines Kampfes in rundenbasierte Aktionen umgeschaltet werden kann. Aber alles geschieht nacheinander und unfassbar viel langsamer.
In Baldur’s Gate konnten Echtzeitkämpfe mit Pause schon langwierig sein, aber nun gibt es statt einer dynamischen, schnellen, machtvollen Entladung durchgeplanter und koordinierter Attacken der gesamten Gruppe nur noch das Abfädeln einzelner Angriffe. Tröpfchenweise. In Warteschlange.
Einfach mal fix mit mächtigen Helden über eine Horde Wegelagerer rollen? Keine Chance, jeder muss einzeln und nacheinander zur Strecke gebracht werden.
Spielmechanisch mag das immer mal wieder Vorteile bringen. Vielleicht wäre hier eine Mischung oder optionales Umschalten sinnvoll? Die Demo von Baldur’s Gate 3 konnte in keinem der gezeigten Kämpfe den Geist der Baldur’s Gate-Saga einfangen. Das mag auch daran liegen, dass es kaum Referenzen gab, kaum Dinge, die einen Nostalgiker entzückt denken ließen: „Das kenne ich“ oder „Das erinnert mich daran“.
Baldur’s Kitchen Impossible: Die erste Geschmacksprobe misslingt
Es ist irgendwie wie bei der Kochshow „Kitchen Impossible“, wenn Top- Köche ein teilweise über Generationen perfektioniertes Gericht nur nach Geschmack und Aussehen nachkochen müssen. Sie kommen gern mal nah dran, schaffen es aber nur selten, die Essenz, den Geist des Gerichts so zu treffen, wie es die Originalköche können.
Daran laboriert auch Larian, die zwar bereits sehr gute Rollenspiele gemacht haben, aber dadurch nicht automatisch in der Lage sind, einen adäquaten Nachfolger für den König der Rollenspiele zu bauen. Dazu kommt der Kardinalsfehler der gestrigen Demo: Wenn du schon eine Legende fortsetzen willst, dann musst du mit Referenzen, Anspielungen und vertrauten Elementen den Geist des Vorgängers einfangen und diejenigen von Sekunde Eins an überzeugen, die die Legende lieben.
Larian Studios haben in der Tat den Geist eines Vorgängers perfekt eingefangen und weiterentwickelt. Dabei handelt es sich aber um Divinity: Original Sin, nicht um Baldur’s Gate. Nur der Hinweis auf die Illithiden, die Gedankenschinder, erinnert entfernt an die Unterwelt in Baldur’s Gate 2. Viel mehr ist da derzeit nicht.
Wie setzt man einen Klassiker in der Moderne fort?
Natürlich verstehe ich, dass versucht wird, Baldur’s Gate 3 zu modernisieren, auf den Stand der aktuellen Technik zu heben und für eine größere Zielgruppe zugänglich zu machen. Ich bin mir aber nach der Demo nicht sicher, dass die richtigen Zutaten verwendet werden. Auch das erinnert mich sehr an Kitchen Impossible, wenn Tim Mälzer sagt: „Ich kriege diesen besonderen Geschmack nicht hin, ich treffe diese Perfektion nicht. Ich muss da jetzt meine eigene Interpretation bringen.“
Fast immer schaffen es die Köche bei Kitchen Impossible, die jeweilige Jury, die das Originalgericht liebt und perfekt kennt, mit dem nachgekochten Gericht für sich einzunehmen. Es schmeckt halt sehr gut, weil Mälzer & Co. ihr Handwerk verstehen. Aber es kommt in der Kochshow nur selten vor, dass sie den Geist des Originalgerichts perfekt einfangen.
Larian muss gewusst haben, was sie sich mit Baldur’s Gate 3 für eine Verantwortung und Last aufgebürdet haben. Tausende Rollenspielfans warten seit zwanzig Jahren auf einen echten Nachfolger der legendären Abenteuer an der Schwertküste. Eine Reihe Spiele hat bereits versucht, dieses Erbe anzutreten, etwa Pillars of Eternity oder Pathfinder: Kingmaker. Das sind sehr gute Spiele, aber sie kamen ebenfalls nicht an diese Perfektion heran, die das alte BioWare und die Black Isle Studios mit der Infinity-Engine gezaubert haben.
Baldur’s Gate 3 sieht toll aus. Die freie Kamera hat die isometrische Perspektive abgelöst, noch eine Änderung zum Original. Die weite, sehr offene 3D-Welt bietet fantastische Details, viel Vertikalität und sie wirkt lebendig. Die Animationen sind cool, die Charaktere fein ausgearbeitet. Und das Opening-Cinematic ist natürlich absolut beeindruckend.
Auf der Suche nach der Baldur’s Gate-Essenz
Aber die Essenz von Baldur’s Gate ist ein Gesamtgefühl. Es speist sich aus der perfekten Mischung aller genannten und sicherlich noch einiger weiterer Elemente. Baldur’s Gate 3 fühlt sich nach der Demo falsch an. Es scheint ein gänzlich anderes Spiel zu sein und mit anderem Titel wäre meine Begeisterung trotz der vielen Bugs erheblich größer gewesen. Doch jetzt bleibt dem Nostalgiker nur der schale Geschmack einer tiefen Enttäuschung.
Denn der Name verpflichtet. Die Larian Studios können nicht einfach nur eine Interpretation bringen. Baldur’s Gate kann nicht umgedichtet werden. Die falschen Zutaten machen ein anderes Gericht – und das schmeckt am Ende auch ganz anders.
Der Geist von Baldur’s Gate war in der Gameplay-Demo für mich nicht vorhanden. Vielleicht ist es nur ein unglücklich gewählter Ausschnitt. Vielleicht ist die Story grandios, sind die Charaktere hervorragend gezeichnet und liebenswürdig. Vielleicht ergibt die Gesamtkomposition von Baldur’s Gate 3 doch einen würdigen Nachfolger für das beste Rollenspiel aller Zeiten. Das müssen wir abwarten.
Baldur’s Gate 3 wird voraussichtlich ein gutes Spiel. Aber ein gameplaygetriebenes Divinity im D&D-Setting macht noch lange keine für seine Geschichten berühmte Legende. Ich hoffe, Larian hat wirklich verstanden, welches Erbe sie da antreten wollen. Eine größere Herausforderung gibt es kaum.
Vielleicht ist dieses Unterfangen aber auch einfach „Impossible“, also schlicht unmöglich. Es hat schließlich seinen Grund, warum es kein „Faust – Der Tragödie dritter Teil“ gibt.