Wie werden vier Game Design-Studenten zu einem Entwicklerteam? Wie entwickelt man während einer Pandemie ein Spiel wie Dorfromantik? Und was hat die Entwickler zum entspannten Aufbau-Puzzlespiel inspiriert? Unser Interview mit dem Toukana Interactive-Team gibt euch einen Einblick in diese und weitere interessante Aspekte der Spieleentwicklung.
In diesem Artikel zum Indie-Puzzlespiel Dorfromantik lest ihr:
- wie sich Dorfromantik spielt und welche Herausforderungen warten
- wie sich Toukana Interactive als Team gefunden haben
- welche Herausforderungen bei der Entwicklung zu überwinden sind
- was die Entwickler zu Dorfromantik inspiriert hat
- welche Inhalte die Entwickler noch planen
Beim Steam Game Festival Anfang Februar 2021 konnten Spieler erstmals die Dorfromantik-Demo ausprobieren. Das verschaffte dem aus vier Mitgliedern bestehenden, Indie-Entwicklerteam Toukana Interactive erstes, wertvolles Feedback für Verbesserungen. Ich wurde wegen der ansprechenden Optik und des süchtig machenden Spielprinzips schon früh auf Dorfromantik aufmerksam. Im Rahmen einer sechsteiligen „Let’s Try“-Videoreihe probierte ich die Pre-Early Access Version aus. Begeistert vom leicht zu lernenden und schwer zu meisternden Spieleprinzip hakte ich bei den Entwicklern nach, die mir ihre Erfahrungen schilderten.
Update 15.04.2021: Toukana Interactive hat beim „Deutschen Computerspielpreis“ 2021 mit Dorfromantik den Preis in den Kategorien „Bestes Gamedesign“ und „Bestes Debüt“ gewonnen – herzlichen Glückwunsch an die Entwickler!
So spielt sich Dorfromantik
Der Einstieg in Dorfromantik ist zunächst unspektakulär: Zu Spielbeginn stehen euch 30 hexagonale Spielkärtchen mit Motiven wie Häusern, Feldern und Eisenbahnschienen zur Verfügung. Diese kombiniert ihr nacheinander mit einem bereits auf dem Spielfeld vorhandenen Kärtchen. Für jede gelungene Kombo gibt’s Punkte für den Highscore. Den Kartenstapel füllt ihr mit erfüllten Quests wieder auf, die von Zeit zu Zeit bei neuen Kärtchen mit erscheinen.
Dafür legt ihr beispielsweise eine bestimmte Menge an Felder-Kärtchen aneinander und bastelt eine Siedlung mit mindestens 50 Häusern. Alternativ ihr stellt einen riesigen Wald mit über 300 Bäumen zusammen oder lasst genau sieben Felder aneinander angrenzen. Knifflig wird das scheinbar simple Spielprinzip, wenn dringend benötigte Kärtchen einfach nicht im zufallsbasiert zusammengestellten Stapel auftauchen wollen, ihr Quests nicht fertig bekommt und euch durch ungeschickte Kombinationen Möglichkeiten verbaut. Oder wenn Eisenbahnlinien und Gewässer wertvollen Anlege-Bauplatz belegen, den ihr eigentlich für mehr Häuser oder einen Riesenwald bräuchtet. Spätestens, wenn die Menge der übrigen Kärtchen immer weiter abnimmt, kommen auch geübte Tüftler richtig ins Schwitzen.
Neue, besondere Kärtchen wie einen mitten im Wasser stehenden Bahnhof schaltet ihr dadurch frei, dass ihr euch auf dem Spielfeld in deren Richtung baut. Danach erhaltet ihr sie danach als zusätzliche Optionen im Stapel neuer Partien. Besondere Herausforderungen wie der Bau von 40 aneinander liegenden Eisenbahnschienen findet ihr am rechten oberen Bildschirmrand, die weitere Kärtchen freischalten. Je nachdem, wie erfolgreich ihr die Kärtchen kombiniert, kann eine Partie von wenigen Minuten bis hin zu einer halben Stunde oder mehr dauern.
Kreativ-Team trotz Corona
Das Interview wurde von Gloria H. Manderfeld (S4G) mit dem gesamten Toukana Interaktive-Team (TI, bestehend aus Luca Langeberg, Sandro Heuberger, Timo Falcke und Zwi Zausch) geführt.
S4G: Wie habt ihr euch kennen gelernt und als Team zusammen gefunden?
TI: Wir vier haben zusammen ein Bachelor Studium in Game Design an der HTW in Berlin absolviert. Im Rahmen des Studiengangs haben wir uns natürlich recht gut kennengelernt. Timo und Sandro haben bereits vorher zusammen gearbeitet und als Abschlussprojekt ein Spiel veröffentlicht. Luca und Zwi haben sich durch die gemeinsame Arbeit im Praktikum besser kennengelernt. Nach Abschluss des Studiums haben wir erfolgreich an einigen „Game Jams“ (Spiele-Wettbewerbe) teilgenommen.
Da wir gemerkt haben, wie gut wir als Team funktionieren und alle den Wunsch hatten zu Gründen und Spiele nach unserem Geschmack zu entwickeln, hat alles sehr gut gepasst. Inmitten der Corona-Pandemie haben wir Anfang 2020 schließlich gegründet und studieren seitdem alle weiterhin an der HTW im Master Game Design. Dort werden wir auch vom DE:HIVE Incubator Programm für Start-Ups unterstützt. Dorfromantik ist unser erstes kommerzielles Projekt – sozusagen unsere „Feuertaufe“ – und wir werden auch unsere Masterarbeiten über die Entwicklung schreiben.
S4G: Wie organisiert ihr eure Arbeitsabläufe?
TI: Leider sind wir logistisch durch die Pandemie recht eingeschränkt. Momentan bestehen unsere Arbeitstage aus einem großen, langen Skype-Meeting den ganzen Tag für die normale Arbeit und Besprechungen. Zusätzlich gibt es einen zweiten mitlaufenden Ruheraum-Call. In diesen wechseln wir für Arbeit, bei der man sich konzentrieren muss. Wir simulieren damit unsere sonst übliche Teamarbeit in einem gemeinsamen Studioraum.
S4G: Wie hat Corona eure Arbeitsweise bei der Entwicklung verändert?
TI: Sehr! Erst hatten wir den Plan, im Studioraum zu arbeiten, den wir vom DE:HIVE-Institut gestellt bekommen. Dort hätten wir nebeneinander an gut ausgestatteten Arbeitsplätze, mit starken Rechnern, Schreibwaren, Whiteboards usw. arbeiten können. Wir sind aus unserem Studium einen sehr persönlichen Workflow gewohnt. Die Teams sind dort während der gesamten Projektzeit immer vor Ort und arbeiten gemeinsam, man bespricht sich, gestikuliert, zeigt sich Dinge. Wir testen Mechaniken anfangs oft analog mit Spielklötzchen an einem Tisch, mit denen man sehr genau verdeutlichen kann, was man sich vorstellt.
Durch die Pandemie entwickelte sich dann eine Remote-Arbeitsweise: Wir nutzen die besagten Skype-Calls, um unser Beisammensein virtuell zu simulieren. Zusätzlich benutzen wir einen Service namens „Miro“. Das ist im Grunde ein virtuelles Whiteboard im Browser, darauf kann man parallel schreiben, malen, Fotos hochladen. Es ersetzt sozusagen unseren gemeinsamen Tisch oder die Pinnwände/Whiteboards. Es ist rückblickend überraschend und natürlich sehr beruhigend, dass das Team trotzdem gut funktioniert.
S4G: Was sind die größten Schwierigkeiten als kleines Team?
TI: Es gibt bei einem so kleinen Team immer die Gefahr zu viele „Hüte“ zu tragen. Gründung, Entwicklung, Projektmanagement und Vermarktung sind sehr umfangreiche Aufgaben und es ergeben sich täglich neue Aufgaben und Anfragen. Hier ist Prioritätensetzung notwendig und wir versuchen immer, zusammen die bedachteste Entscheidung zu treffen. Wir sehen unser Team selbst als eine Ressource, die eben limitiert ist und damit ein bisschen diktiert, was wir alles an Dingen tun und wahrnehmen können. Auf der anderen Seite ist unsere Teamgröße auch eine Stärke: Glücklicherweise sind wir, was unsere individuellen Fähigkeiten angeht, recht breit und flexibel aufgestellt.
Jeder kann von allem etwas, somit kann immer jemand einspringen. Auch sind wir alle eher entscheidungsfreudig. So stagnieren wir selten und scheuen uns nicht davor, etwas zu verwerfen und neu zu versuchen. Natürlich gibt es aber auch eine Spezialisierung bzw. Fokus auf bestimmte Bereiche und Aufgaben in der Entwicklung selbst. Timo und Sandro kümmern sich zum Beispiel um die Programmierung und Luca und Zwi eherum die Art und alles Visuelle.
S4G: Wie bleibt ihr bei all der Konkurrenz vieler täglich neu erschienener Spiele auf Steam motiviert und zuversichtlich?
TI: Es hat vermutlich mit unserer Leidenschaft zu tun. Wir sind überzeugt davon, dass Spiele von hoher Qualität mit der passenden Vermarktung immer eine Chance auf erfolgreiche Veröffentlichungen haben. Aber natürlich ist das unabhängige Entwickeln und Veröffentlichen von Indie-Games ohne Hilfe eines Publishers nicht gerade einfach. Man muss optimal planen und viele gut überlegte Entscheidungen treffen. Uns motiviert, wenn wir das Gefühl haben, dass schon allein ein Prototyp Spielende überzeugen kann – und das war bei Dorfromantik der Fall.
S4G: Was treibt euch beim Entwickeln an, was ist euch besonders wichtig?
TI: Eine simple elegante Spielmechanik in Kombination mit visuell angenehm lesbarer Optik sind für uns ein Grundsatz. Außerdem möchten wir Spiele machen, die keine allzu große Einstiegshürde haben und beim Spielbeginn nicht überwältigen. Eben Spiele, die dadurch auch von Menschen gespielt werden können, die sonst gar nicht so viele digitale Spiele spielen.
S4G: Ihr seid alle in verschiedenen ländlichen Regionen von Deutschland oder der Schweiz aufgewachsen. Was mochtet ihr an der Kindheit auf dem Land am meisten?
Luca: Meine Kindheit im ländlichen Ostwestfalen fand hauptsächlich auf irgendwelchen Bolzplätzen mit meinen Freunden statt. Oder auf dem Fahrrad auf viel zu langen Feldwegen. War eigentlich ganz schön, wenn ich so darüber nachdenke.
Sandro: Ich bin nahe einer grünen idyllischen kleinen Stadt in der Schweiz aufgewachsen und mochte schon immer den fließenden Übergang von Stadt zu Land im Einklang mit Bergen und Seen. Einen großen Teil meiner Kindheit habe ich zudem im Ticino (italienischsprachiger Teil der Schweiz südlich der Alpen) verbracht. Dorthin ziehen mich bis heute regelmäßig die herzliche Wärme und der mediterrane Charme.
Timo: Ich bin in einem Vorort im Münchner Landkreis aufgewachsen. Inzwischen genieße ich die Ruhe dort, damals hatte ich vor allem Spaß an den Badeseen und den vielen Orten, an denen man draußen spielen konnte.
Zwi: Ich bin einen großen Teil meiner Kindheit im Norden Deutschlands auf Rügen aufgewachsen, das war natürlich sehr prägend. Dort finden sich große Äcker und Wälder nah an der Küste. Ich fand es und finde es immer noch sehr schön und entspannend, dort der Natur so nah zu sein.
Vom Prototypen zum fertigen Spiel
S4G: Wie lange hat es von der ersten Idee zu einem Prototypen des Spiels gedauert?
TI: Wir haben in der ersten Phase um die 10 verschieden Prototypen entwickelt, um anschließend zu evaluieren, welcher uns vom Umfang am ehesten innerhalb von einem Jahr umsetzbar erscheint – und welcher am erfolgversprechendsten ist. Diese Phase dauerte ungefähr einen Monat und war fest in unsere Entwicklungszeit eingeplant. Wir haben uns für jeden Prototypen ungefähr zwei bis drei Tage Zeit genommen und außerdem versucht, Teilnahmen an Game Jams damit zu verbinden, da uns die dort gestellten Themen häufig auf originellere Ideen brachten.
S4G: Wie entstand die Spielidee konkret und was war das größte spielerische Vorbild für die Spielmechaniken?
TI: Die Idee zu Dorfromantik entstand, als wir zusammen in der Prototyping Phase Anfang 2020 am Ludum Dare 46-Game Jam teilgenommen haben. Das gesetzte Thema war „Keep it Alive“. Wir versuchen Themen bei Wettbewerben immer auch als Anregungen für neue Spielmechaniken zu sehen, nicht nur als Thema für ein Setting oder eine Geschichte innerhalb eines Spiels. Deswegen haben wir uns überlegt, ein Spiel zu entwickeln, bei dem Spielende durch gutes strategisches Spielen die Partie „am Leben halten“ und somit theoretisch endlos weiterspielen können.
Hier bot sich ein rundenbasiertes Legespiel an. So kamen wir auf die Idee mit den hexagonalen Kärtchen, deren Kanten man passend aneinander legen muss. Aus den vielen Spielprojekten während unseres Studiums wussten wir, dass Mechaniken, bei denen man Objekte dreht und kombiniert, grundsätzlich schon mal Spaß machen. Dazu kam dann die Idee mit dem Stapel, der eine kleine Vorschau auf die kommenden Kärtchen gewährt und gleichzeitig anzeigt, wie viele Kärtchen und damit Züge man noch übrig hat.
Dies ist unserer Meinung nach dem Spiel Tetris ähnlich. An Carcassonne haben wir während der Entwicklung des Prototyps gar nicht gedacht. Erst als wir den Prototypen beim Ludum Dare-Wettbewerb einreichten und viele Spielende sich positiv daran erinnert fühlten, fiel uns diese Ähnlichkeit auf. Natürlich freut es uns, dass viele somit direkt eine gute Assoziation mit Dorfromantik verbinden. Visuell hatten wir uns an Spielzeug, naiver Malerei und historischer Landschaftsmalerei orientiert.
S4G: Wird es nach Release Erweiterungen zu „Dorfromantik“ geben?
TI: Ja! Das erste große Update wird in den Wochen nach der Early Access-Veröffentlichung der freie Spielmodus, der „Creative-Mode“ sein. Hier können Spielende, ohne den Druck einen Highscore zu erreichen oder Quests erfüllen zu müssen, frei und endlos bauen. Auch wird es möglich sein ungewollte Kärtchen wegzulegen. Diesen Modus werden wir nach und nach weiter ausbauen. Wir haben Dorfromantik ganz bewusst modular entwickelt und haben sehr viele Ideen für weitere Inhalte. Neue Biome, also Schauplätze, oder „Settings“, weitere Gebäude und Fahrzeuge, Tiere, Herausforderungen und auch Sounds und Musik stellen wir uns als Updates oder Erweiterungen vor.
S4G: Wie war das Spielerfeedback zur Demo vom Steam-Indiefestival und was habt ihr daraus mitgenommen?
TI: Das Feedback war überwiegend positiv. Das hat uns sehr in unserem Vorhaben bestärkt, Dorfromantik früher als ursprünglich geplant zu veröffentlichen. Natürlich haben wir aus dem Feedback viele Rückschlüsse über kleinere Probleme mit der Verständlichkeit mancher Mechaniken oder auch mit dem Balancing ziehen können. Generell erfreuen wir uns bisher einer sehr aktiven Community, die Dorfromantik ins Herz geschlossen hat, und sich sehr motiviert an der Entwicklung beteiligt.
S4G: Habt ihr schon Pläne für Spiele nach Dorfromantik?
TI: Dazu wollen wir noch nicht zu viel verraten. Aber wir haben aus der frühen Entwicklungsphase einige Prototypen bewahrt, die uns auch sehr gut gefallen haben und an denen wir uns vorstellen können weiterzuarbeiten.
Hier bekommt ihr Dorfromantik:
Ab dem 25. März 2021 gibt es die Early Access-Version von Dorfromantik bei Steam für 8,99€. Der um 15 Prozent ermäßigte Kaufpreis gilt nur während der Early Access-Phase.